Märkte München oder Der Bauch von München
Schlacht- und Viehhof
Bis 1878 nutzten »Bankmetzger«, die ihre Verkaufsstände am Viktualienmarkt hatten, die beiden öffentlichen Schlachthäuser in München am Viktualienmarkt und am Färbergraben. Andere Metzger, aber auch Wirte und Bauern schlachteten auf ihren Höfen bzw. in Hinterhöfen der Stadt. Die Tiere kauften sie auf dem Viehmarkt in der Herrnstraße.
Max von Pettenkofer* (1818 – 1901, nobilitiert: 1883) erreichte nach der Cholera-Epidemie 1866 in München, dass sich das Verständnis für Hygiene durchsetzte. Zu den Maßnahmen der Stadt München gehörte neben dem Bau einer Schwemmkanalisation und einer neuen Trinkwasserversorgung der Bau eines Schlacht- und Viehhofs 1876 bis 1878 nach Plänen des Stadtbaurats Arnold von Zenetti** (1824 – 1891, geadelt: 1890) in der Isarvorstadt (Schlachthofviertel). Dabei entstand auch das Wirtshaus im Schlachthof (Zenettistraße 9), ein Backsteinbau im Stil der Neurenaissance, der inzwischen unter Denkmalschutz steht.
*) Mehr zu Max von Pettenkofer im Album über Denkmäler
**) Mehr zu Arnold von Zenetti im Album über Architekten


Von 1876 bis 2006 fand auch Pferdehandel auf dem Schlacht- und Viehhof München statt.
Zwischen 1888 und 1925 erweiterte die Stadt München den Schlacht- und Viehhof mehrmals, aber im Zweiten Weltkrieg wurden zwei Drittel der bebauten Fläche zerstört.
Großmarkthalle
1871 wurde die Bahnstrecke München – Rosenheim eröffnet, und zwar mit einem damals zunächst »Thalkirchen«, ab 1876 »München-Süd« genannten Bahnhof zwischen Haupt- und Ostbahnhof. Dort trafen immer größere Mengen Südfrüchte aus Italien mit der in den Sechzigerjahren gebauten Brennerbahn ein – was mit einem stark wachsenden Obst- und Gemüseverzehr einherging. Am Südbahnhof wurde das Obst von den Waggons auf Pferdefuhrwerke umgeladen und zum Viktualienmarkt bzw. zur Schrannenhalle gebracht.
Weil das umständlich und aufwändig war, setzte sich die Idee durch, in Sendling, nahe des Südbahnhofs, eine Großmarkthalle zu errichten. Der Baurat Richard Schachner (1873 – 1936) realisierte das Projekt von der Genehmigung 1908 bis zur Eröffnung 1912. Die vier Markthallen waren damals das größte Eisenbetonbauwerk in Deutschland, und sie wurden als Ikone der Industriearchitektur mit der 1908/09 von Peter Behrens in Berlin errichteten AEG-Turbinenhalle verglichen.

Der städtische Betrieb Großmarkthalle München mit einer eigenen Zollabfertigung handelte nicht selbst mit Lebensmitteln, sondern vergab Flächen für Lager und Umschlagplätze an Handelsunternehmen. Importeure und Großhändler boten dort ihre Waren Einzelhändlern, Marktständen, Wirten, Kantinen und Großküchen an.
Das 1926/27 von Karl Meitinger (1882 – 1970) errichtete Kontorhaus 1 steht seit 1998 ebenso wie die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaute historische Halle 1 unter Denkmalschutz.
Im Zweiten Weltkrieg wurden nicht nur die Gleisanlagen bombardiert, sondern auch 80 Prozent der Großmarkthalle zerstört. Der Wiederaufbau begann 1949 mit der Schuttbeseitigung und dauerte zehn Jahre lang.
Märkte München oder Der »Bauch von München«
Sollte der Schlacht- und Viehhof München in der Isarvorstadt wieder aufgebaut oder verlegt werden? Der Stadtrat sprach sich 1964 für den Erhalt am alten Standort aus, und in den Siebzigerjahren entstanden dort mehrere Gebäude neu. Die Schweineschlachtung (1987/88), die Großviehschlachtung (1990 – 1992) und der Fleischmarkt (1995/96) wurden einige Zeit später auf den Stand der Technik und Hygiene gebracht.
In der Großmarkthalle wurden zwar 1962 noch Rekordumsätze erzielt, aber mit dem 1957 von Herbert Eklöh (1905 – 1978) in Köln eröffneten ersten nach US-Vorbild gestalteten Supermarkt setzte sich die Selbstbedienung gegen die Tante-Emma-Läden durch, und in den Sechzigerjahren kam mit Aldi der erste Discounter dazu. (Herbert Eklöh hatte sich bereits 1938 in Osnabrück mit dem ersten Lebensmittel-Selbstbedienungsladen in Europa versucht, aber damals war die Zeit noch nicht reif dafür gewesen.) Auf Selbstbedienung basierten auch die ebenfalls in den Sechzigerjahren gegründeten C&C-Großmärkte (Cash & Carry) für Wiederverkäufer von EDEKA und Metro.
Ebenso wie die Umstrukturierung des Einzelhandels veränderte die Verlagerung des Warentransports von der Schiene zur Straße das Geschäft der Großmarkthalle. Der Transport exotischer Früchte mit dem Flugzeug kam noch dazu.
Nachdem man 2000 bzw. 2004 die Rinder- und die Schweineschlachtung privatisiert hatte, kam der Schlacht- und Viehhof 2005 in den Eigenbetrieb Schlachthof München, und 2007 fusionierte dieser mit der Großmarkthalle München zu »Markthallen München« (2007 – 2024) bzw. »Märkte München« (seit 2024). Frei nach dem Roman »Der Bauch von Paris« von Émile Zola gelten der Schlachthof in der Isarvorstadt und die benachbarte Großmarkthalle in Sendling als »Bauch von München«.
Was soll mit der Großmarkthalle in Zukunft geschehen? Als sich die Büschl Unternehmensgruppe 2025 aus dem Neubau-Projekt zurückzog, begann die Diskussion von Neuem. Statt die Großmarkthalle in Sendling neu zu errichten, könnte man sie ins Umland verlegen und auf dem frei werdenden Areal ein neues Stadtquartier bauen, um mehr Wohnungen zu schaffen.
Die Bezeichnung Schlachthof ist kaum noch zeitgemäß, denn dort dominiert inzwischen der Großhandel mit Fleisch, Geflügel, Fisch und Feinkost.
Im Schlachthofviertel bzw. auf dem Viehhofgelände zwischen Zenettistraße, Tumlingerstraße, Thalkirchener Straße und den Bahngleisen soll ein neues Stadtquartier mit 600 Wohnungen entstehen.
Als Zwischennutzung pachtete Daniel Hahn aka → »Bahnwärter Thiel« 2017 ein Areal als Refugium für eine Subkultur-Szene. So entstand ein Sammelsurium aus bunt gemalten bzw. besprühten Schiffscontainern, Tram- und U-Bahnwägen mit einem Subkultur-Angebot zum Beispiel von Konzerten. »Bahnwärter Thiel« musste dann allerdings etwas Platz machen für den Neubau des → Münchner Volkstheaters. 2021 konnte der vom Architekturbüro LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei in Stuttgart und der Firma Georg Reisch in Bad Saulgau ausgeführte Neubau in der Tumblingerstraße auf dem Gelände des ehemaligen Viehhofs in Betrieb genommen werden.


Literatur:
. Hans Widmann: Die Münchner Großmarkthalle. Gründung, Entwicklung und Perspektiven (Weiden und Regensburg 2003)
Externer Link:
. Märkte München (offizielle Website der Landeshauptstadt München)
