Joseph Beuys:
zeige deine Wunde
vor dem Aufbruch aus Lager I
Ergänzender Text über Joseph Beuys im Lenbachhaus
1979 erwarb die Städtische Galerie im Lenbachhaus erstmals Werke eines Künstlers, dessen Lebens- oder Arbeitsschwerpunkt nicht in München war: Joseph Beuys (1921 – 1986). Im ehemaligen Atelierflügel Franz von Lenbachs sind Kunstobjekte wie »Ofen«, »Badewanne« und »Hasengrab« zu sehen, dazu Beuys‘ Rauminstallationen »vor dem Aufbruch aus Lager I« (1970/80) und »zeige deine Wunde« (1974/75).
»Die Arbeit zeige deine Wunde behandelt das Thema des Todes in eindringlicher Weise. Die Aufforderung des Titels führt den Betrachtenden ihren verwundbaren Punkt, die Endlichkeit ihrer Existenz, vor Augen. Im Mittelpunkt des Environments stehen paarweise angeordnete Leichenbahren, alte Inventarstücke aus der Pathologie. Über den Kopfenden sind trübe Lampen angebracht. Unter den Bahren befinden sich zwei geöffnete, mit Fett gefüllte Blechkästen, darauf je ein Thermometer und Reagenzglas mit einem skelettierten Amselschädel, davor ein mit Gaze abgedecktes Einmachglas. An der Wand lehnen zwei Schepser, Geräte aus dem Voralpenland, die ursprünglich dazu dienten, die Rinde von Bäumen zu entfernen […]. Die eigentümliche Verdoppelung aller Details trägt der Dualität von Leben und Sterben, von Individuum und Gesellschaft, von Gegenwart und Vergangenheit, von Aktualität und Geschichte Rechnung.« (Städtische Galerie im Lenbachhaus)
»vor dem Aufbruch aus Lager I thematisiert den künstlerischen Schaffensprozess mit der Darstellung des Menschen als Handelnder, als Schaffender, als Künstler. Wiederum steht hier die Schultafel im Zentrum der Rauminstallation, […] mit einem vielgestaltigen Lehrbild. Darin geht es Beuys um das Aufzeigen des Prozesses von der Materie zur Gestalt oder Form. In diesem Diagramm zeigt er uns seine Vorstellung des erweiterten Kunstbegriffs. Eine Linie entwickelt sich aus einem Knäuel über eine Schleife zum Prisma, dazu nennt er die drei Grundelemente seiner plastischen Theorie: unbestimmt, Bewegung und Form/bestimmt. Darunter stehen die Begriffe Wille, Seele /Gefühl und Denken. Auf dem Tisch antworten die Materialien: Die Fettmasse auf einem Modellierteller, die ungeordnete Materie, von der ein Tetraeder aus Fett als bestimmte plastische Form abgesetzt ist. Dazwischen ein Messer, das mit seiner Spitze wie eine Kompassnadel den Weg vom Ungeformten zum Geformten weist.« (Städtische Galerie im Lenbachhaus)